Streicheln für Paare – eine Übung angelehnt das Übungsprogramm „Sensate Focus“, oder auch Sensualitätstraining

Die hier vorgestellte Übung ist angelehnt an ein Übungsprogramm das sich „Sensate Focus“, oder auch Sensualitätstraining nennt.

„Sensate Focus“ wurde von den Sexualforschern William H. Masters und Virginia E. Johnson in den sechziger Jahren in den USA entwickelt und als Therapieprogramm zur Behandlung von sexuellen Funktionsstörungen eingesetzt.

Sowohl diese Übung, wie auch alle anderen hier vorgestellten Übungen bieten keinen Ersatz für eine Paar- oder Sexualtherapie und ich empfehle Paaren, sich therapeutisch beim Durchführen der Übung begleiten zu lassen.

Zudem ist die hier vorgeschlagene Vorgehensweise eine abgewandelte Form, des ursprünglich entwickelten Sensate Focus Ablaufs und durch die Erfahrungen, die ich mit Paaren in der Therapie gesammelt habe, geprägt.

Für wen eignet sich diese Übung?

Diese Übung eignet sich vor allen Dingen für Paare, die nicht wissen, wie sie sich sexuell (wieder) begegnen können, die schon lange keinen Sex und keine Intimität miteinander teilen, die unter Versagensängsten und Leistungsansprüchen leiden, oder die mit sexuellen Funktionsstörungen zu tun haben.

Es sollte ein grundsätzliches Einverständnis der Partner*innen geben, sich wieder körperlich begegnen zu wollen. Wenn Streit und destruktive Muster die Beziehung bestimmen, dann ist diese Übung nicht die Richtige.

Zur Übung:

Die Partner*innen verhandeln miteinander die einzelnen Punkte, so dass sie für beide stimmig sind.

Was ist bei der Verhandlung zu bedenken?

 Für den passiven Part:

Bei den eigenen Wünschen mit einzubeziehen, was dem Partner/der Partnerin zugemutet werden kann. Dabei geht es um den Balanceakt, auf der einen Seite die eigenen Bedürfnisse so authentisch wie möglich zu formulieren und auf der anderen Seite, das Gegenüber nicht in eine Überforderungszone zu bringen, welche eine förderliche Herausforderung weit überschreitet.

Für den aktiven Part:

Natürlich ist es möglich, Bedürfnisse oder Wünsche, die weit über die eigenen Grenzen gehen, abzulehnen. Dabei ist jedoch eine grundsätzlich wohlwollende Haltung dem Gegenüber ein schönes Erlebnis zu ermöglichen wichtig.

Es sollte ein Codewort vereinbart werden, dass zu einem sofortigen Stopp der Übung führt, wenn es genutzt wird.

Was wird verhandelt?

  •  Die Zeit: wie lange und wie häufig sollen Treffen im Rahmen dieser Übung stattfinden, damit sich beide damit wohlfühlen. Ein guter Erfahrungswert ist am Anfang, 1x die Woche für 20- 30 Minuten. Diese Zeit kann, wenn sich beide damit wohlfühlen, mit fortschreitender Entwicklung nach Wunsch erweitert werden.
  • Wer ist zuerst passiv, wer ist aktiv? Wenn also beispielsweise ein Treffen pro Woche für 30 Minuten verhandelt wird, dann ist bei diesen Treffen in der einen Woche, ein*e Partner*in für 30 Minuten aktiv und in der nächsten Woche ist dieselbe/derselbe Partner*in für 30 Minuten passiv.
  • Wo sollen die Treffen stattfinden? Im Schlafzimmer? Im Wohnzimmer? Im Bett, oder an einem andren Ort. Der oder die empfangende Partner*in (passiv) darf den Wunsch äußern, wo das Treffen stattfinden soll, so das jede*r einmal die Möglichkeit hat, den Ort zu bestimmen. Der oder die empfangende*/passive* Partner*in beschreibt genau, was er/sie* braucht, um sich bei dem Treffen wohl zu fühlen. Das bezieht sich auf Wärme (Heizung, frische Luft, etc.), Kerzen, Räucherware, Musik, frische Bettwäsche etc. Der aktive Part kann dafür sorgen, den Raum entsprechend den Wünschen des/der Empfangenden herzurichten.
  • Was soll bei dem ersten Treffen passieren? Was ist der kleinste gemeinsame Nenner, mit dem beide starten können? Was ist ein möglicher Schritt, der die Grenzen und die Komfortzone um ein mögliches Minimum erweitert?

Hier spielen folgende Frage eine Rolle:

  • Wieviel Kleidung ist gewünscht, sowohl vom aktiven als auch vom passiven Part? Zu empfehlen ist, für das erste Treffen, mindestens die Unterwäsche/Unterhose anzulassen, so dass diese Grenze erstmal eine gewisse Sicherheit bieten kann und eventuelle Ambivalenzen und Leistungsprogramme darüber kontrolliert werden können.
  • Wo und wie soll gestreichelt werden? Nur die Rückseite, oder auch die Vorderseite? Welche Zonen sollen ausgelassen, oder nicht mit einbezogen werden. Auch hier gibt es die Empfehlung, beim ersten Treffen, die erogenen Zonen auszulassen, um sich in der neuen Situation überhaupt erst einmal zurecht zu finden und entspannen zu können.
  • Der aktive Part achtet darauf, beim Geben ganz bei sich zu bleiben und die Berührungen auszuführen, die sich gut anfühlen. Die Berührungen können variieren, von sanftem Streicheln mit den Fingerspitzen zu kräftigem Kneten und festen Streichungen. Es geht um ein spielerisches Miteinander und darum, sich selbst bei diesen Treffen besser kennen zu lernen. Die Treffen stellen einen Erfahrungsraum dar, um sich selbst auszuprobieren und eine neue Form der Begegnung und Intimität zwischen den Partner*innen zu ermöglichen.
  • Eine grundsätzlich forschende, nicht wertende Haltung hilft, die Treffen ohne Druck und zu viel Erwartung zu gestalten.

Nach jedem Treffen ist es wichtig, dass sich die Partner*innen darüber austauschen, wie es Ihnen mit der Übung ergangen ist. Was war gut? Was hat sich gut angefühlt? Was nicht? Wo war Unsicherheit zu spüren, wo waren Impulse da, weiter zu gehen? Welche Programme/Muster sind eventuell angesprungen?

Das kann in Form von einem lockeren Gespräch passieren, oder mit Hilfe eines kontrollierten Dialogs (siehe Übung Zwiegespräch.)

Das zweite und weitere Treffen: 

  • Hier spielt alles das, was im ersten Treffen wichtig war, mit rein. Jedoch können jetzt die Grenzen weiter gesteckt werden. Es wird wieder besprochen und verhandelt, wie das zweite und weiter Treffen aussehen können. Die oben genannten Punkte sollten in die Verhandlung mit einbezogen werden.
  • Beispielsweise kann beim zweiten weniger Wäsche getragen und erogene Zonen können mit einbezogen werden. Auch dieser Punkt sollte verhandelt werden und es ist gut, erst weiter zu gehen, wenn sich beide mit der Situation wohl und sicher fühlen.
  • Mögliche Erweiterungen des Spiel- und Begegnungsraums bei den weiteren Treffen könnten sein (die folgenden Punkte dienen zur Inspiration)
  • Weniger Wäsche
  • Erogene Zonen beim Streicheln mit einbeziehen, ohne Stimulation
  • Die erogenen Zonen während des Streichelns stimulieren
  • Positionen einnehmen, als ob Sex stattfinden würde, aber ohne Penetration, eventuell mit Unterwäsche.
  • Eindringen und Penetration, aber ohne den Orgasmus zum Ziel zu machen.
  • Verschiedenen Stellungen ausprobieren.

Wichtig ist, dass immer erst dann ein neues Element, eine Erweiterung stattfinden sollte, wenn sich beide mit der vorrangegangenen Situation sicher und wohl fühlen. Menschen haben unterschiedliche Tempi, Ängste und Grenzen. Gerade in der Sexualtherapie spielen emotionale Grenzen, körperliche Grenzen und psychische Grenzen eine enorme Rolle. Die Gespräche darüber, was gut war, was sich in Bezug auf Bedürfnisse und Wünsche verändert und entwickelt hat, nach jedem einzelnen Treffen sind fester Bestandteil des Ablaufs und müssen zeitlich mit eingeplant werden.

Diese Übung kann verborgene und verdrängte Konflikte zum Vorschein bringen und dann kann es sehr hilfreich sein, therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

© Bettina Uzler – Diesen Übungstext finden Sie hier auch zum Download (PDF, 112 KB)